Als Projektleiter Stephan Bollmann zur eingerichteten Baustelle kommt, ist der Schlauch schon da: 200 Meter, rund 40 Tonnen, gelagert auf Eis. Es ist 7 Uhr morgens am Eppendorfer Weg, Ecke Fruchtallee. Rund um die Baustelle brummt bereits der Berufsverkehr an den rot-weißen Absperrbarken vorbei. „Wenn wir hier die komplette Straße aufmachen, geht hier nichts mehr“, sagt Bollmann.
Stephan Bollmann arbeitet im Ingenieurbüro bei HAMBURG WASSER. Sein Fachgebiet ist es, große Abwasserkanäle so zu sanieren, dass Hamburg möglichst wenig davon mitbekommt. Fachbegriff solcher Maßnahmen: Schlauchlining. „Dabei wird ein Schlauch in den alten Kanal eingebracht“, erklärt Bollmann. Das neue Material legt sich mit Hilfe von Wasserdruck von innen in den Kanal und härtet durch Wärme aus: „Ein neues Rohr entsteht im Alten.“
Nicht nur auf der Straße ist Verkehr
Je nach Verfügbarkeit und Temperatur nutzt man für die Operation unter der Straße imprägnierte Schläuche, die entweder mit Licht oder durch Wärme aushärten. Der tonnenschwere Schlauch in Eppendorf ist wärmeempfindlich und wurde daher heute Nacht auf einer Schicht kristallweißem Schnee geliefert. Bei den milden Temperaturen im September muss es jetzt schnell gehen.
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In Hamburg sagt man Siel
In Hamburg werden die unterirdischen Abwasserkanäle traditionell als Siele bezeichnet. Das Sielnetz umfasst sämtliche unterirdischen Kanäle, Leitungen, Pumpwerke und Sammelbecken, über die das Abwasser zuverlässig zum Klärwerk Hamburg geleitet wird.
Nicht nur auf der Straße ist gerade Berufsverkehr: Die erste Abwasserspitze von morgendlichen Toiletten und Duschen rauscht durch die Rohre zum Klärwerk Hamburg. Rund 33 Badewannen kommen hier pro Sekunde im Durchschnitt an, morgens auch mal einige mehr. Der Kanal unter dem Eppendorfer Weg, die in die Furchtallee abbiegt, ist 120 Zentimeter im Durchmesser. Während der Bauarbeiten wird das Abwasser umgeleitet.
Verfahren spart Geld und Zeit
Damit der Schlauch gut durch den Schacht ins Siel kommt, wird er über ein Förderband aus sieben bis acht Metern Höhe eingelassen. Das Siel wurde vorher bereits ausgiebig inspiziert, mit einer Spezialdüse gereinigt, einem dünnen Schutzschlauch versehen und – damit es flutscht – mit pflanzlichem Öl geschmiert. So soll der Mammutschlauch nachher gut an den Außenwänden anliegen. Durch den künstlich aufgebauten Wasserdruck von etwa fünf Metern schlängelt sich der gekrempelte Schlauch Zentimeter für Zentimeter durch den alten Kanal.
„Das Verfahren ist schon einige Jahrzehnte im Einsatz, vor allem in Großstädten wie Hamburg“, erklärt Bollmann. „Wir schonen nicht nur den Verkehr, sondern sparen dabei auch Zeit und Geld.“ Eine Baugrube, die nötig wäre, um einen Kanal der Dimension auszutauschen, würde den Verkehr für mehrere Monate nahezu komplett lahmlegen. Der Einsatz für das heutige Teilstück von Bollmann und den Teams vor Ort dauerte nur vier Wochen, mit kurzzeitiger Sperrung von maximal einem Fahrstreifen.
Pünktlich zum Feierabendverkehr ist dann ein vollwertiges Rohr entstanden. Alle Baustellenbaken können heute allerdings nicht abgebaut werden. Mit dem Kanalfernauge, einem kleinen Roboter mit Kamera, wird das Ergebnis kontrolliert, wenn der Schlauch komplett ausgehärtet ist. Im Anschluss werden noch Schächte und Hausanschlüsse saniert. Dann geht es für das Team von HAMBURG WASSER weiter in die Fruchtallee.